Flüchtlingsdramen, nicht mehr nur i m TV. | ZOLTAN BALOGH

Die allgemeinen Kriegskonflikte werden größer. Jetzt hat die türkische Luftwaffe ein Flugzeug einer russischen Kampfeinheit abgeschossen. „Das fehlte gerade noch“, kommentierte mein türkischer Nachbar Aidem das Geschehen. Er lebt mit seiner Familie im Herzen Kreuzbergs seit mehr als vierzig Jahren. Vater von zwei Töchtern. Seine Älteste, Samara studiert an der Universität Betriebswirtschaft. Beide stimmen in ihren Meinungen überein, sie ist jedoch noch kritischer als er und schärfer in ihren Äußerungen.

Samara argumentiert folgendermaßen:

“Ich bin hier in Berlin geboren. Ich bin eine Deutsche mit türkischen Eltern. Hier aufgewachsen und erzogen bezeichne ich mich als Deutsche und bin sehr entfernt von irgendeiner Religion.., Das ist ein Thema, das mich nicht besonders interessiert. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt und betrachte die Zeit in der ich und meine Generation leben. Eine Zeit, in der Aggressionen allgegenwärtig und überall sind. Wo kriegerische Außeinandersetzungen und terroristische Attentate aus dem Boden schießen wie Pilze. Zum Beispiel habe ich von den Flüchtlingen zunächst in der Zeitung gelesen und im Fernsehen gesehen. Aber jetzt ist es Realität geworden. Sie sind eine Realität in meinem Leben geworden. Dort wo ich lebe gibt es an der Ecke einen grossen Sportplatz mit Turnhalle. Seit einigen Wochen können meine Cousins nicht mehr in ihrer Halle wie immer trainieren. Weil dort, wo sie sonst Fußball spielen ist es voller Matratzen, voller Menschen, voller Flüchtlinge. Sie nennen sie jetzt “Flüchis”. Es tat mir weh, als ich die Flüchtlinge dort gesehen habe. Die ganze Halle voller Menschen. Menschen wie wir. Menschen, die unsere Unterstützung brauchen. Was mich sehr überrascht hat war uns selbst zu hören, unsere Inkonsequenz und Schwäche als Menschen. Es ist noch nicht lange her seit in Deutschland das Flüchtlingsproblem Realität geworden ist durch eine Welle der Asylsuchenden. Schon jetzt gibt es viele Gegner. Ich spreche nicht von Politikern, sondern von Leuten wie Du und ich oder mein Vater. Man hört ihre Verstimmung, wenn sie über die “Flüchis” sprechen. Subtile Betonungen, die nicht sehr solidarisch klingen. Als ob Deine Herkunft einen sozialen Unterschied markieren würde und Deine Nationalität Dir einen konkreten Status beschert. Ob Du nun aus Syrien oder aus einem anderen Land aus Fernost kommst und nicht die Kleidung trägst, wie es sich gehört. Du wirst nicht azeptiert und löst Ängste aus. Mir ist aufgefallen wie wenig wir von ihnen wissen und das wir es eigentlich auch nicht wissen wollen. Andrerseits viel können wir auch nicht tun, ihnen Kleidung und Unterstützung geben, vielleicht. Ich weiß nicht, ob es überhaupt ein Bewußtsein hierfür gibt. Wir leben in einer Gesellschaft der Angst und um dies nicht fühlen zu müssen, müssen wir Ziele im Leben haben, Stabilität, kompetent und erfolgreich sein und nicht tiefer über unser Leben nach denken. Ich frage mich jetzt, was ist Integration für Jemanden, der aus einem anderen Land kommt. Verstehen wir die reale Bedeutung von Exil, verstehen wir wie es ist mit zwanzig, dreissig, vierzig Jahren hier her zu kommen und sich wie ein Kind zu fühlen in einer fremden Welt, in der nichts vertraut ist und man nichts versteht?”